Wenn man unterschiedlichen Untersuchungen glauben will, ist die Kundenorientierung bei vielen Unternehmen in B2C und B2B in den letzten Jahren nicht besser geworden. Dabei waren die meisten alles andere als untätig. Nur: Das Credo der kundenorientierten Denkweise mündet häufig in falschen Schlussfolgerungen.
- Hygienefaktoren statt einzigartiges Markenerlebnis: Schöner, besser, grösser, freundlicher. Um das Kundenerlebnis (Customer Experience) zu erhöhen, wird die Fassade poliert. Dabei gelingt es immer seltener, für die Kunden einen effektiven Mehrwert zu generieren und einzigartige Verkaufsversprechen (Unique Selling Proposition) zu entwickeln. Hygienefaktoren werden vergoldet, doch deren Erfüllung dient bekanntlich ausschliesslich der Beseitigung von Unzufriedenheit. Der liebevoll gedeckte Tisch bringt nichts, wenn das Essen auf dem Teller kalt ist. Mitarbeiterschulungen werden durchgeführt mit dem Effekt, dass man als Kunde wie ein «Freund» empfangen wird. Gut gelaunt – inklusive Small Talk. Es ist der Versuch, die Kundenzufriedenheit mit vermeintlich naheliegenden Mitteln zu erhöhen. Eine effektive Differenzierung gelingt darüber nicht. Viele der derzeit erfolgreichsten globalen Unternehmen sind nicht unbedingt dafür bekannt, «freundlich» zu sein.
- Was statt warum: Gleichermassen wie es heute nicht mehr reicht, die Kunden mit dem «wie» und «was» von einem Produkt oder einer Dienstleistung zu überzeugen. Heute suchen sie vermehrt nach dem «warum». Dieses wird damit zum integralen Bestandteil in der Markenkommunikation (siehe hierzu «Start With Why», Simon Sinek: Ted.com/talks).
- Schein-Innovation statt Kundenmehrwert: Auf der Suche nach den Big Ideas, mit denen sich die Kunden an die Marke binden lassen, denken Unternehmen vielfach zu massnahmenzentriert – in neuen Aktivitäten: «Alles wird besser, wenn wir die neue App lanciert haben.» Doch Scheinneuheiten, inkrementelle Innovationen oder Kampagnen, die bloss darauf abzielen, stetige und schrittweise Verbesserung von bestehenden Produkten, Dienstleistungen, Prozessen oder Geschäftsmodellen zu unterstützen, bringen in der digitalen Welt wenig bis gar keinen Erfolg.
- Mehr News statt relevante Inhalte: Stetig Neuigkeiten von meinem Retailer im Postfach und trotzdem kein Grund, das Geschäft zu besuchen. Kunden werden immer aktiver, auch selektiver. Ihre Aufmerksamkeit schenken sie gerne relevanten Inhalten. Kunden besser verstehen bedeutet auch, sie mit personalisierten Inhalten zu begeistern.
- Datenberge statt Smart Data: Nach der anfänglichen Euphorie, jede Frage zu den Kunden lasse sich mit Big Data im Sekundentakt beantworten, droht die Orientierung im Datenberg verloren zu gehen. Korrelationen werden beobachtet, aber keine Kausalitäten hergestellt. Zudem beschränkt sich der Datenpool zumeist auf bestehende Kunden. Wie man potenzielle Neukunden gewinnt, bleibt unbeantwortet. Das Vorgehen ist datengetrieben – jedoch strategielos. Es wird gemessen, nicht gesteuert. Daten alleine bringen nicht die Lösung. Ziele können nicht verfolgt werden, wenn sie nicht klar formuliert sind.
Kundenorientierte Denkweise ist nur die halbe Miete
Der Zweck der Kundenorientierung muss es sein, sich einen effektiven Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Denn der Veränderungsdruck über die Digitalisierung ist da: Der Wandel ist vielschichtig und verändert Mensch, Markt, Unternehmen und Gesellschaft. Leerläufe können sich Unternehmen schlicht nicht mehr leisten. Richtungsentscheide müssen getroffen werde. Die Frage ist, wie man zu den richtigen kommt.
- Ein einheitliches Kundenverständnis schaffen: Kundenorientierung ist ein weitläufiger Begriff. So bestehen in den einzelnen Unternehmensbereichen (wie z.B. Vertrieb, Marketing, Service, IT und Logistik) gerne unterschiedliche Auffassungen. Kundenorientierung zu Ende gedacht bedingt jedoch, dass es ein einheitliches Kundenverständnis im ganzen Unternehmen gibt. Wie wird dies erreicht? Zu oft landen Projekte aus der Marktforschungsabteilung mit ebendiesem Bestreben, das Kundenverständnis im Unternehmen zu erhöhen, am Schluss in der Schublade. Schön aufbereitete Kundenprofile zum Beispiel, die den Mitarbeitenden ein Bild ihrer Kunden vermitteln sollen: Wie alt sie sind, wo sie wohnen, welche Wertvorstellungen, Produktpräferenzen und Markenvorlieben sie haben. Dieser Ansatz ist richtig und wichtig. Wirklich relevant werden Kundenprofile jedoch erst, wenn sich aus ihnen direkte Konsequenzen für die Marktbearbeitung ergeben. Sie müssen präzise beantworten, wie man mit den (potenziellen) Kunden in der Multichannel-Welt effizient und effektiv interagieren kann.

Den Kunden ein Gesicht geben und verstehen, wie man sie am effektivsten erreicht und mit ihnen interagiert.
- Stellhebel für eine erfolgreiche Steuerung identifizieren: Traditionelle Befragungen kranken häufig daran, dass sie lediglich Endprodukte erheben wie zum Beispiel Kundenzufriedenheit, Loyalität, Weiterempfehlungswahrscheinlichkeit (NPS) oder gar einen fantasievollen Customer Experience Index. Dabei wird verpasst, die unternehmenseigenen Stellhebel zu identifizieren. Welches sind die Motivatoren? Wie entsteht Uniqueness, eine strategisch relevante Differenzierung gegenüber der Konkurrenz durch Einzigartigkeit? Wie und wo entscheiden die Kunden? Nur über ein ganzheitliches Kundenverständnis gelingt es, Produkte oder Dienstleistungen mit einem überlegenen Kundennutzen zu schaffen und ein markentypisches Kundenerlebnis in der Customer Journey auszugestalten.
- Von der Erkenntnis zur richtigen Strategie: Liegen die Erkenntnisse vor, ist in einem zweiten Schritt entscheidend, wie gut es gelingt, daraus wirkungsvolle Strategien zu generieren. Klingt trivial, ist es jedoch nicht. Die Komplexität ist zumeist enorm und es braucht die richtigen Werkzeuge, um diese Vielschichtigkeit auf das Relevante herunter zu brechen. Werkzeuge, die bei der Fokussierung unterstützen und dabei den Kunden nie aus den Augen verlieren, die Outside-in-Perspektive ins Unternehmen tragen. Mit Power Point stösst man hier schnell an Grenzen.
- Von der Strategie zur erfolgreichen Umsetzung: Eine überragende Customer Experience entsteht am Schluss über die Summe aller Interaktionen mit einem Unternehmen oder einer Marke – on- und offline. Nachvollziehbar kann dies nur erreicht werden, wenn die kundenorientierte Strategie abteilungsübergreifend durchdekliniert und stringent umgesetzt wird. Silodenken hat dabei keinen Platz. Es ist nicht damit getan, dass jede Abteilung bestrebt ist, in ihrem Gärtchen die Customer Experience zu erhöhen. Die Komplexität des Themas erfordert eine ganzheitliche und systematische Vorgehensweise.
Kundenorientierung in der digitalen Welt heisst, Richtungsentscheide zu treffen. Dafür braucht es eine integrierte, messbare Kundenorientierung, die hilft, einen effektiven Wettbewerbsvorteil zu schaffen.
Christoph Spengler, Managing Director, Email
Isabel Imper, Analyst and Consultant
Accelerom Team
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